Und es ist schon wieder Winter: Der US-amerikanische Ski-Bum und Autor Brennan Lagasse blickt zurück auf seinen Winter 2020, der mit einer Silvester-Party in New York begann und mit einer überstürzten Flucht vor dem ersten Covid-Lockdown in China vorläufig endete. Ein One-Way-Trip um die Welt, während die Pandemie ausbricht. Von den USA über den Balkan bis nach China. Vom Freeriden bis zur Erforschung der historischen und kulturellen Wurzeln des Skifahrens.
Bilder und Text von Brennan Lagasse. Mehr zum Autor unter dem Text (Sprungmarke). Deutsch von Luca Brück. Dieser Text wurde über Azylo® lizenziert. Zur Azylo®-Page von Brennan Lagasse.
Ich: Guten Morgen.
Kaitlyn: Guten Morgen (schaut auf ihr Handy). Ich habe wieder eine Nachricht von zu Hause bekommen, sie wollen wissen, ob alles in Ordnung ist.
Ich: Hast du heute schon die Nachrichten gelesen?
Kaitlyn: Habe ich. Es wird immer wieder über dieses Problem in Wuhan berichtet und fast alle Neujahrsfeiern in China sind abgesagt worden.
Kaitlyn und ich wechselten einen ungläubigen Blick – nicht den ersten. Im Laufe unserer Reise wurde von Tag zu Tag, manchmal sogar von Stunde zu Stunde deutlicher, dass etwas Unheimliches vor sich ging. Ursprünglich waren wir einfach nur froh, dass wir gesund und mit unserer gesamten Ausrüstung in Urumqi angekommen waren, einer Großstadt mit 3,5 Millionen Einwohnern und die Hauptstadt der autonomen Region Xinjiang-Uigurien im äußersten Nordwesten Chinas. Wir waren dort, um eine Geschichte über die historischen und kulturellen Wurzeln des Skifahrens zu drehen. Denn die sind nach Ansicht vieler Wissenschaftler und dem Stand der Forschung in Zentralasien zu finden, genauer gesagt im Altai-Gebirge, wohin wir von Urumqi aus reisen würden. Ich dachte, dass ich durch verschiedene Freunde, die in China gelebt oder viel Zeit in dem Land verbracht hatten, mental auf das allgemeine Chaos im Land vorbereitet sei. Ich hatte ja keine Ahnung, wie nahe unsere Reisegruppe dem Covid-19-Ground-Zero kommen würde und dass wir irgendwann in einem Dorf in einer der abgelegensten Regionen der Welt festsitzen würden.
Ich wandte meinen Blick von Kaitlyn ab und starrte direkt in die dicken Flocken, die weiterhin vom Himmel fielen. Seit unserer Ankunft in Khom, einem kleinen Dorf im Herzen des Altaigebirges, wo China, Russland, die Mongolei und Kasachstan aneinander grenzen, lief die himmlische Schneemaschine fast ununterbrochen. Hier gibt es noch traditionellen Skibau und einen Skibetrieb wie seit Tausenden von Jahren. Für mich persönlich waren schon die Wochen vor unserer Ankunft in Khom eine aufregende Reise, aber das hier war wirklich eine außergewöhnliche Situation: Sollten wir wirklich in China festsitzen? Spulen wir einmal zurück zur Wintersonnenwende.
Die Reiseplanung – im Dezember vor Corona
Es war noch nicht einmal 2020. Man stelle sich das vor. Was für eine andere Welt. In den trockenen Monaten vor dem Winter hatte ich Pläne für eine Reise geschmiedet, die am Lake Tahoe beginnen, immer nach Osten führen und schließlich nach sechs Wochen um die Welt nach Tahoe zurückführen sollte. Die erste Etappe ging nach Vermont und in die Gegend von New York City, um dort mit der Familie Urlaub zu machen und an der Ostküste Skifahren zu gehen.
Der Charakter der Skigebiete in Vermont ist etwas ganz Besonderes. Es ist eine verwurzelte, raue, gemeinschaftsorientierte Region mit einem ausgeprägten Sinn für das Lokale. Man kann großartige Skitouren hier machen, wenn es geschneit hat, so wie an den meisten Orten eben, aber wo sonst kann man innerhalb weniger Stunden Schnee, Regen und meinen Favoriten, den „winterlichen Mix“, erleben? Die Green Mountains beheimaten ein herzliches Völkchen, und obwohl die Bedingungen im vergangenen Dezember nicht gerade spektakulär waren, gab es doch genug Schnee, um an einigen ausgewählten Orten mit Skiern aufzusteigen und abzufahren – eine angenehme Art, die Kalorien aus den Feiertagsmahlzeiten und dem unglaublichen Craftbeer der Region zu verbrennen.
Von Vermont nach New York ging es mit der Familie zu einer musikalischen Neujahrsfeier im berühmten Madison Square Garden. Damals ahnte ich noch nicht, dass diese vier Nächte mit Live-Musik meine letzten für die absehbare Zukunft sein würden. Am 2. Januar setzte ich mich in ein Flugzeug nach Europa und nach einem mehrstündigen Zwischenstopp in Serbien kam ich an meinem Zielort Mazedonien an.
Freeriden auf dem Balkan
Das Balkangebirge befindet sich im Südosten Europas. Im Schatten der verständlicherweise berühmteren Alpenkette im Westen beherbergt die Region 12 Nationen, allesamt haben eine reiche Geschichte und Kultur und sind in bergigem Terrain zu Hause. Ich bin immer auf der Suche nach Locals, die ihre Erfahrung abseits der ausgetretenen Pfade teilen und hatte mich mit dem Kollektiv Shar Outdoors in Verbindung gesetzt, das bei der Planung aufwendiger Aktionen im Backcountry führend ist und auch wenn es darum geht, Freerider und Tourengeher mit besonderen Erinnerungen zu versorgen, was bei einer Reise in diese Ecke der Welt allerdings auch nicht so schwierig ist.
Die geopolitische Landschaft der Region hat sich nach den Unruhen in den 90er Jahren und der jüngeren Vergangenheit weitgehend stabilisiert (Anm. d. Red.: Diese Einschätzung ist im Herbst 2022 leider schon wieder überholt). Von Mazedonien (offiziell die Republik Nordmazedonien), das über einen modernen internationalen Flughafen in Skopje angebunden ist, ist der Balkan nur eine kurze Fahrt entfernt. Das Team von Shar Outdoors nutzt den gleichnamigen Shar Mountain als Basislager. Hier gibt es mehrere Unterkünfte für Outdoor-Enthusiasten. Verbringt man einige Zeit vor Ort, ist man überrascht, wie viele Menschen aus der ganzen Region wegen den Bergen und dem Schnee zu Shar Outdoor kommen. Es ist ein cooler kultureller Hotspot, und wenn Schnee liegt und die Sonne scheint, kann man darauf wetten, dass in unmittelbarer Nähe des Startpunkts einer Skitour auch eine Rodelpartie stattfindet.
Das Skifahren, das mich in dieses Gebiet geführt hat, bietet für jeden etwas, sofern der Reisende einen gewissen Abenteuergeist besitzt. Und so sehr es auch das Skifahren war, das mich hierher brachte, reist man nicht auf den Balkan, um den Schnee und das Gelände zu finden, das man schon von Orten wie Alaska kennt. Tatsächlich muss ich an einige der anderen Geschichten denken, die ich in letzter Zeit geschrieben habe, an Orte, die ich bereist habe, und an Gebirgsketten, an denen ich Freeriden war: Während es auf dieser Welt zweifellos noch Orte zu erkunden gibt und wirklich alles, was für den Besucher neu ist, in gewissem Sinne eine Entdeckungsreise ist, haben wir zu diesem Zeitpunkt in der Geschichte des Skifahrens eine unfassbare Fülle an webbasierten Ressourcen, Magazinen und Skifilmen, die der Freeride-Gemeinde zeigen, was es da draußen gibt.
Deshalb wissen wir, dass die europäischen Alpen, Alaska und Orte wie der Westen der USA und Kanada einige der besten Touren- und Freeridegebiete auf diesem Planeten beherbergen.
Aber da gibt es noch etwas anderes, das unerschrockene Reisende anzieht, nämlich neue Berge, neue Schneearten und Kulturen zu (be-)suchen, die ein Abenteuer wie dieses in Mazedonien zu etwas Besonderem machen.
Das Rezept für eine solche Reise besteht aus Zutaten wie gutem Essen, einem interessanten Ort und spannenden Menschen, sowie zuvorkommenden Einheimischen/Guides, die nicht nur das Erlebnis akzentuieren, sondern auch dazu beitragen, dass man etwas erlebt, zu dem man sonst keinen Zugang hätte. In meinen jungen Jahren habe ich viele Reisen ohne Unterstützung unternommen. Und diese Art des Reisens hat sicherlich ihre Zeit und ihren Platz, vor allem, wenn man nur über ein sehr geringes finanzielles Budget verfügt. Dennoch ist es unersetzlich, einen neuen Ort durch die Unterstützung von Einheimischen kennenzulernen, die stolz auf ihr Land und ihre Gemeinden sind.
Ich hatte bereits Gäste aus diesem Teil der Welt (Bulgarien), und wenn ich jemals die Gelegenheit bekomme, selbst dorthin zu reisen, würde ich gerne das Terrain im Rila-Nationalpark und im Rest des Landes erkunden. Die Gruppe damals hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen, und obwohl Bulgarien nicht auf dem Programm dieser Reise stand, war es cool, herauszufinden, dass die Shar Outdoors Crew auch dort unterwegs ist. Tatsächlich organisieren sie Skitouren und Catskiing-Reisen auf dem gesamten Balkan. Mit ein wenig Planung und etwas Unterstützung von Mutter Natur ist es durchaus machbar, in einem Trip mehrere Länder und Regionen zu sehen und überall zu powdern.
Montenegro, Serbien und der Kosovo sind nur einige der Länder, die von Mazedonien aus relativ leicht zu erreichen sind. Während meiner Zeit im Land mit Shar Outdoors wechselten wir jeden Tag den Standort und checkten verschiedene Optionen für das zukünftige Skitouren-Angebot von Shar. Dafür waren wir in Gelände unterwegs, das für Einsteiger geeignet ist, und sind Linien gefahren, die nur sehr selten gefahren werden. Auf mehreren Touren konnte ich von einem mazedonischen Gipfel aus nach Griechenland oder Albanien blicken. Wer mit der richtigen Gruppe zur richtigen Zeit unterwegs ist und gut plant, kann in ein anderes Land abfahren und eine Tour fortzusetzen, nur zum Mittagessen einkehren oder wieder auffellen und zurück laufen.
Meine Reisezeit hat sich vor allem wegen der gewählten Route bewährt, dabei ist Anfang Januar für einen Besuch auf dem Balkan nicht unbedingt die beste Zeit. Meiner Meinung nach sind Freeride-Trips immer ein Glücksspiel. Die Schneedecke, mit der wir während dieses frühen Saisonfensters gearbeitet haben, war dünn, aber sie bot immer noch genug Unterlage zum Skitourengehen und um ein Gefühl für die Möglichkeiten im Land und in der Umgebung zu bekommen. Shar Outdoors bietet auch Catskiing an, was natürlich ein Abenteuer an sich sein kann, aber auch als Zubringer für einen ausgedehnten Tourentag tief in den Bergen genial ist. Das Team besteht aus Einheimischen, die in den umliegenden Bergen aufgewachsen sind, das Terrain gut kennen und so ziemlich bei allen Verhältnissen ein herausragendes Erlebnis in diesem einzigartigen Teil der Welt auf die Beine stellen können.
Das Korab-Gebiet zählt zu den Lieblingsregionen meines Trips und bot auch aus Sicht des Skitourengehers die größte Vielfalt. Ich würde sogar sagen, dass man sich nicht ärgert, wenn man hier den größten Teil der Reise verbringt, auf Skiern natürlich. Unbedingt sollte man vor der Abreise auswärts essen gehen, denn das ist ein weiteres Highlight der Reise, ein kulinarisches Erlebnis. Köstliche Weine, die lokale Knoblauchsoße und die verschiedenen regionalen Pfeffersorten werden nie langweilig. Vorsicht vor dem Rakija, der ganz schön heftig ist, mit dem Du aber sehr wahrscheinlich anstoßen wirst. Am besten ist dann, den Moment zu feiern und die Welle zu reiten, die diese “natürliche Medizin” mit sich bringt. Das Brot, der Kartoffeleintopf, die gebackenen Bohnen – ich habe alles probiert und wollte nur noch mehr von allem. Die Aromen, die die lokale Küche hervorbringt, waren nichts weniger als Fünf-Sterne-Küche. Hoffentlich steht auch ein Besuch der UNESCO-Welterbe-Region Ohrid-See auf Deinem Reiseplan, denn hier ist eine der ältesten menschlichen Siedlungen in ganz Europa. Der See selbst ist wunderschön, die einheimische Küche hervorragend, und wenn die Schneegötter es zulassen, kann man auf den Gipfeln rund um den See unglaubliche Skitouren gehen.
Nach mehreren Tagen mit dem immergleichen Ablauf, den erfahrene Ski-Bums gut kennen und von dem jeder träumt, wenn er einen internationalen Schnee-Trip plant, war es an der Zeit, weiterzuziehen. Diese Routine, ein hübsches Skitourengebiet zu erkunden, das köstliche Essen zu genießen und mit der Shar Outdoors-Crew – die für jedes Abenteuer auf dem Balkan sehr zu empfehlen ist – abzuhängen, war ein einziger Spaß. Unter der Leitung von Meto Chillimanov und mit Ivan, Mihail, Maja, Tomica, Domi und Stefan hat die Shar-Crew den Trip noch angenehmer gemacht, als er ohnehin schon war, und ich hoffe, dass ich wiederkommen kann, sobald es die Welt erlaubt. Wie bei den meisten Skireisen sind die Berge und der Schnee das Wichtigste – und glaube es oder nicht, Mazedonien bietet beides. Der Balkan liegt definitiv abseits der ausgetretenen Pfade, und diese Crew bringt Dich nicht nur zu den besten Hängen, sondern ist auch sonst ein hervorragender Haufen, mit dem das Après-Ski genauso viel Spaß macht wie das tägliche Shredden. Liebend gern wäre ich mit dieser Crew länger im Land geblieben, wäre da nicht der nächste Stop auf der Reiseroute gewesen.
Winter in Georgien: Powder satt in märchenhafter Kulisse
Die hohen Berge des Kaukasus. Ein Land voller Burgen und Schlösser, mit einer faszinierenden Geschichte und UNESCO-Weltkulturerbestätten wo man hinblickt. Ich hatte mich schon seit einiger Zeit darauf gefreut, hier einen Trip zu führen, vor allem wegen der gewaltigen Gebirgskette, die in einem ganz besonderen Teil der Welt eine besondere alpine Magie ausstrahlt. Außerdem war es die Gelegenheit, mit einem guten Freund in seiner ersten richtigen Rolle als Bergführer zusammenzuarbeiten.
Keith, seine Frau Sabrina und ich sind schon zusammen in der Sierra Nevada, in Alaska und Sibirien unterwegs gewesen, um nur ein paar Orte zu nennen. Will, Liam, Kenzie und ich hatten uns im vorangegangenen Winter beim Skitourengehen in Kirgisistan kennengelernt. Das letzte Mitglied unseres Teams kennst Du als Herausgeber von Ascent (das Magazin, in dem dieser Text ursprünglich erschien, Anm. d. Red.). Paul und ich haben in der Antarktis und zu Hause in den USA gemeinsam Schwünge in den Schnee gezogen und sogar in der Arktis (Grönland) neue Linien gefunden. Zusammen hatten wir eine ehrwürdige Crew für eine Georgien-Odyssee, aber ich werde die Erzählung von diesem Teil der Reise Paul überlassen, denn sein Bericht ist in dieser Ausgabe von Ascent zu finden. Nur so viel: In Georgien hatten wir zwar mit einer dünnen Schneedecke zu kämpfen, aber unsere Crew war zu gut, um sich aufhalten zu lassen. Wir hatten ein unvergessliches Abenteuer, angefangen vom ersten Tag in Tiflis bis hin zum Neujahrsfest in Sveneti. Und wir waren jeden Tag Powdern, was bei einer internationalen Ski-Expedition immer hilfreich ist.
China im Winter: Die Wiege des Skifahrens?
Georgien war ein Knaller. So ein unglaublicher Ort zum Freeriden und das mit einer so tollen Crew. Insgesamt war ich ziemlich stoked nach fast einem Monat der Reise, die in Tahoe begann und sich allmählich nach Osten durch Vermont und New York, Mazedonien und Georgien bewegte. Mittlerweile war ich vom Familienskimodus in die Rolle eines Gastes und dann in die eines Guides gewechselt. Jetzt war es Zeit für einen weiteren Wechsel, denn wie durch ein Wunder landete ein Flug von Tiblisi, Georgien, genau dort, wo ich in Urumqi, China, sein musste, um die Filmcrew der Snow Hunters zu treffen.
Im Herbst hatte ich mich mit Chris Winters zusammengetan, der das Projekt ins Leben gerufen hatte. Es war so etwas wie ein Traum, an dem ich über die Jahre gebastelt hatte, nur dass Cris alles zu einem schlüssigen Plan zusammenfügte. Der Plan sah eine Reise mit mehreren Stopps vor, bei der Orte in Eurasien besucht werden sollten, in denen es Hinweise auf die möglichen Ursprünge des Skifahrens gab. Lappland, der Ural und das Tian Shan-Gebirge standen alle auf der Liste.
In Lappland finden sich Felsmalereien von 4000 v. Chr., auf denen Skifahrer dargestellt sind, während im russischen Uralgebirge Skier gefunden wurden, die auf 6300 v. Chr. datiert werden. Der eurasische Schwerpunkt dieser Geschichte stimmt mit den verfügbaren Forschungsergebnissen überein und obwohl sich der genaue Geburtsort des Skifahrens und die exakten Daten verschieben, gilt es als erwiesen, dass die Wurzeln des Skifahrens in Zentralasien zu finden sind. Unsere erste Station für den Dokumentarfilm war also das Altai-Gebirge. Hier kommt Pferden eine riesige Bedeutung zu und hier – darauf deuten Forschungen hin – finden sich die frühesten Aufzeichnungen über das Skifahren. Manche davon sollen bis auf 10–12.000 v. Chr. zurückgehen.
Unser Team bestand aus Chris und dem hervorragenden Kameramann Brian Hockenstein als Produktionsteam, der olympischen Goldmedaillengewinnerin und Fünf-Sterne-Shredderin Kaitlyn Farrington, mir und unseren beiden Übersetzern. In Khom, unserem Zielort, sprechen die meisten Einwohner kein Mandarin, den wichtigsten chinesischen Dialekt. Sie sprechen Kasachisch. Deshalb hatten wir unsere chinesische Freundin Lina Serek dabei, die für uns ins Kasachische übersetzte, und unseren amerikanischen Freund Jeff Oliviera für Mandarin. Jeff stammt aus Boston, MA, und war schon mehrfach in dieser Region. Nach einigen Tagen in Urumqi mit unserem Team, einschließlich eines denkwürdigen Besuchs des Skigebiets an der Seidenstraße, wo wir einige Nacht-Skitouren unternahmen und ein klassisches “Hot Pot”-Essen von epischem Ausmaß genießen konnten, nahmen wir schließlich einen Flug nach Norden nach Altay und setzten uns in ein Auto für die fünfstündige Fahrt in das Dorf Khom.
Kurz vor unserer Ankunft in Khom fing es an zu schneien, und obwohl wir während unseres Aufenthalts hier und da ein paar Sonnenstrahlen zu sehen bekamen, blieb die Schneemaschine während unserer gesamten Reise immer in Betrieb. So sehr wir uns auch freuten, endlich in Khom anzukommen, hatte sich doch seit dem Moment unseres Ankommens in Urumqi ein leichtes Unbehagen ausgebreitet: Getuschel über ein neuartiges Virus, das sich ausbreite. Wir wussten wirklich gar nichts und versuchten unverdrossen, die Feierlichkeiten zum chinesischen Neujahrsfest zu filmen, die ebenfalls ein geplanter Teil von Reise und Film waren.
Seltsamerweise war dies schon mein drittes Neujahrsfest in weniger als einem Monat. Es sollte auch dasjenige sein, das am längsten dauerte. Im Gegensatz zur Party von einem Tag und einer Nacht, die wir in den USA gewohnt sind, oder zu dem, was ich nur wenige Tage zuvor in Georgien gefeiert hatte, dauerte das chinesische Fest 15 Tage.
Als wir am ersten Tag in Khom aufwachten, fiel noch mehr Schnee. Wir frühstückten eine köstliche Bowl mit Nudeln und Gemüse und gingen dann zu einem Feld neben dem Dorf, wo die Feierlichkeiten stattfinden sollten. Es gab kunstvolle Schneeskulpturen, farbenfrohe Dekorationen aus aufwendigen Stoffen und eine lange Schneepiste für die traditionellen Pferderennen. Gemeinsam mit unserer Crew schaute ich mir das erste Rennen staunend an. Die Geschicklichkeit, die Fähigkeiten und die Energie der Teilnehmer war unglaublich. Ich war fürchterlich gespannt auf die nächsten Runden und auch auf das Bogenschießen und andere traditionelle Riten, denn in Khom dreht sich alles um das Feiern der alten, verwurzelten Kultur. Leider fand nichts davon statt.
Später am Nachmittag erhielten wir die Nachricht, dass die Feierlichkeiten für den Tag abgesagt worden waren. Die Zukunft war ungewiss, aber im Wesentlichen war entschieden worden, dass es zu unsicher sei, weiterhin zu reisen, wie es Millionen von Menschen in China zu den Neujahrsfeiern üblicherweise tun. Gleichzeitig wurden alle öffentlichen Versammlungen wegen dieses mysteriösen Virus ebenfalls abgesagt. Obwohl das wahrscheinlich gut gewesen wäre, konzentrierten wir uns nicht so sehr auf das “Warum”, sondern änderten einfach unseren Plan und überlegten, wie wir in Khom jetzt noch umsetzen konnten, was wir uns vorgenommen hatten. Wir trafen uns also mit Malqin, unserem Hauptkontakt und Gastgeber in Khom, und machten erstmal eine Skitour.
Malqin nahm uns mit auf die Tour zu seinem Lieblingsgipfel, er war mit einem Splitboard unterwegs. Uns blieb keine Zeit für den Gipfel, aber es war augenscheinlich, dass er nach diesem ziemlich verrückten Tag sehr gerne die Aufstiegsspur, den Sonnenuntergang und ein paar Schwünge mit uns teilte. Über die folgenden Tage könnte man ein ganzes Buch schreiben. Im Wesentlichen erfuhren wir jeden Tag etwas mehr über einen Virus, der sich in China wie ein Lauffeuer verbreitete. Inzwischen taten wir als Crew, was wir konnten, um die Dreharbeiten fortzusetzen und die Wurzeln des Skifahrens zu entschlüsseln. Das Unbehagen war bei einigen Teammitgliedern stärker ausgeprägt als bei anderen, aber die allgemeine Bereitschaft, sich an die Situation anzupassen und das Beste aus der Erfahrung zu machen herrschte vor. Diese Einstellung birgt Highlights, die aus meiner Sicht so einzigartig sind, wie sie nur sein können.
Obwohl die Feierlichkeiten im Freien in Khom abgesagt wurden, bevor weitere Einschränkungen eingeführt wurden, fanden im ganzen Dorf Neujahrsfeierlichkeiten in bescheidenem Rahmen statt. Unser Team wurde zu Malqin und einem seiner Nachbarn eingeladen, um gemeinsam zu essen und zu feiern. Eine denkwürdige Konstellation: Draußen schliefen die Pferde, während wir Pferdefleisch aßen, während ein wunderschönes handbesticktes Kunstwerk, das Pferde auf der Weide zeigte, über dem Tisch hing. Die Ehrfurcht vor den Tieren war genauso stark wie bei anderen Kulturen, die ich in arktischen Ländern besucht habe, wo Karibus oder Rentiere ebenfalls sehr respektiert werden. Später in der Woche fuhren wir mit Hilfe unserer einheimischen Freunde sogar noch auf Skiern durch die Stadt, gezogen von ihren Pferden.
Das Skitourengehen machte Spaß, aber das Skifahren auf traditionellen Altai-Skiern war ein noch größeres Highlight. Malqin brachte uns die Feinheiten zusammen mit ein paar seiner begeisterten Freunde bei. Am meisten beeindruckt hat mich das Skifahren mit Fellen. Ich schwöre, das sind die klebrigsten Felle, die ich je benutzt habe. Auch die werden übrigens – wenig überraschend – aus Pferdehaar hergestellt. Sie auf Skiern zu fahren war noch mal eine andere Sache: Das nötige Gleichgewicht zu finden ist eine ziemliche Herausforderung, während die Reibung der Skier bei der Abfahrt minimal ist. Je mehr wir übten, desto besser bekamen wir den Dreh heraus. Obwohl niemand so angefressen war wie Malqin und seine Kumpels, die an uns vorbeiflogen, während ihnen Schnee ins Gesicht spritzte und wir lachten, nachdem wir in der Regel superschnell wurden und Sekunden später heftig hinfielen. Die andere Besonderheit dieser Skier ist, dass die Felle zu 100 % dran bleiben. Das macht den Skifahrer in unebenem Gelände extrem anpassungsfähig und es spricht für die eigentlichen Wurzeln der Skikultur, die darin bestand, ein Hilfsmittel zu haben, mit dem man im Tiefschnee manövrieren kann, während man unterwegs war oder auf der Jagd, um seine Familie zu ernähren.
Obwohl wir ein paar Schwünge in tiefem Schnee machten, kam der Höhepunkt der Reise, als Malqin uns zeigte, wie man ein traditionelles Paar Skier herstellt. Während er uns den Prozess Schritt für Schritt erklärte, betonte er auch, dass Menschen wie wir, die ihn besuchen und daran arbeiten, seine Geschichte und die seines Volkes weiterzugeben, dazu beitragen, die Kultur am Leben zu erhalten. Er macht die Arbeit, und damit die Tradition weiterlebt, müssen die Menschen wissen, dass die Tradition existiert. Andernfalls besteht die Gefahr, dass diese Geschichte verloren geht. Die Art und Weise, wie er ein traditionelles Paar Skier herstellt, ist einzigartig. Angefangen bei der Auswahl eines sorgfältig ausgewählten Holzstücks im Wald, über das Shapen von Hand, die Behandlung des Holzes mit Dampf und heißem Wasser bis hin zum Abschleifen – alles von Hand. In nur wenigen Stunden hatte Malqin diese Schritte durchgeführt und ein wunderschönes Paar traditioneller Altai-Ski hergestellt. Es war ein unglaublicher Prozess, den wir in Echtzeit miterleben konnten. Und es ließ uns auch vergessen, dass wir zu diesem Zeitpunkt die einzigen westlichen Reisenden im Dorf waren, und überhaupt die einzigen Fremden im Dorf.
Wir wussten immer noch nicht, was wir tun sollten. Der Wendepunkt kam, als unser kasachischer Übersetzer uns eines Morgens mitteilte, dass wir gezwungen sein könnten, wochen- oder sogar monatelang im Dorf zu bleiben, wenn wir nicht bald abreisen würden. Wir konnten allerdings nicht einfach aufbrechen. Die Fahrer, die uns in das Dorf gebracht hatten, durften Altay, das immer noch fünf Stunden entfernt war, nicht verlassen, und die Menschen wurden angewiesen, in ihren jeweiligen Häusern Quarantäne zu halten. Niemand durfte reisen, und da Khom so abgelegen ist, durfte auch niemand in das Dorf. Wir waren ratlos.
Glücklicherweise konnte Jeff, unser Übersetzer für Mandarin, der durch seine jahrelangen Reisen in der Region enge Kontakte zu den Einheimischen geknüpft hatte, ein diplomatisches Ersuchen an einen der wichtigsten Provinzvertreter in der Region richten. Er würde uns helfen, aus Khom herauszukommen, aber wir wussten immer noch nicht genau, wann und wie. Wir packten unser Zeug und machten uns auf zu einer traditionellen Skitour in Dorfnähe. Es schneite weiter und wir gingen hoffnungsvoll ins Bett, ohne allerdings zu wissen, wie es weitergehen würde.
Am nächsten Morgen schneite es noch stärker. Wir taten gemeinsam unser Bestes, um optimistisch zu bleiben, aber die Ungewissheit war groß. Was, wenn wir tatsächlich mehrere Wochen oder gar Monate in Khom bleiben mussten? Glücklicherweise dauerten die Spekulationen nur ein paar Stunden, denn wie aus dem Nichts tauchte eine Polizeieskorte mit unserem Diplomaten-Freund auf, und bevor einer von uns wirklich wusste, was los war, verließen wir Khom und durchfuhren unseren ersten Kontrollpunkt.
Es war schon alles ein bisschen surreal, aber unsere Situation wurde noch bizarrer, als wir nach weniger als einer Stunde Fahrt von einer riesigen Lawine aufgehalten wurden, die die einzige Straße aus der Stadt heraus verschüttet hatte. Als wir ausstiegen, um nachzusehen, wie groß sie war, stellte sich heraus, dass es tatsächlich eine ganze Reihe Schneebretter waren, die unsere Fahrt behinderten. Es war ein weiterer angespannter Moment der Ungewissheit, der sich über mehrere Stunden hinzog, bis schließlich die Lichter eines Schneepflugs am Abendhimmel aufschienen.
Unser Diplomat hatte den Pflug angefordert, der die Straße freimachte, so dass wir unsere ursprünglichen Fahrer treffen konnten, die auf der Passhöhe auf uns warteten. Die Polizeieskorte setzte uns ab, wir bedankten uns von ganzem Herzen und begannen die nächsten Stunden einer langsamen Fahrt nach Altay, wo wir am nächsten Morgen den ersten von mehreren Flügen nach Hause nehmen würden.
Kaitlyn und ich reisten zusammen. Da wir nicht wussten, wie es sein würde, wieder in San Francisco anzukommen, bereiteten wir uns auf das Schlimmste vor. Es stellte sich heraus, dass wir einen der letzten internationalen Flüge aus China genommen hatten, bevor das ganze Land abgeriegelt wurde.
In der Erwartung, bei der Ankunft von Menschen in Schutzanzügen oder ähnlichem begrüßt zu werden, waren wir recht überrascht, nichts dergleichen zu sehen und lediglich gefragt zu werden, ob wir in Wuhan gewesen seien, wo der Virus vermutlich seinen Ursprung hat. Da wir dort nicht waren, durften wir gehen. Erleichtert, aber immer noch leicht unter Schock stehend, machte sich Kaitlyn auf den Weg zurück nach Montana, und ich kehrte schließlich nach Tahoe zurück und beendete damit eine Reise um die Welt auf eine Art, die ich vor der Abreise nie hätte vorhersagen können.
Ehrlich gesagt dauerte es fast den ganzen Februar, bis ich mich von diesem Erlebnis erholt hatte. Der Monat war ein einziger Schleier, während ich daran dachte, was die Menschen in China durchmachten. Ich war so dankbar, dass unser Team gerade noch rechtzeitig abreisen konnte und sicher nach Hause gekommen war. Anfang März war ich mit einem guten Freund in den Tetons, als unsere Handys anfingen durchzudrehen und alle fragten, ob wir die Nachrichten verfolgten. Ich erinnerte mich sofort an den morgendlichen Austausch mit Kaitlyn, als wir uns Blicke zuwarfen, als wüssten wir, dass gleich die Hölle losbrechen würde. Diesmal taten Jeremy und ich dasselbe, und ob es nun im Januar oder im März war, die Welt ist seitdem nicht mehr dieselbe und wird vielleicht auch nie mehr dieselbe sein.
Im Moment haben wir Herbst, der, wie wir alle wissen die Zeit ist, in der Fahrräder und andere Spielzeuge für das echte Zeug weggepackt werden. Während Du Dich mit der Lektüre heiß machst und Dich auf das Leben abseits der Pisten in diesem Winter vorbereitest, solltest Du bedenken, dass wir, so sehr wir auch als Skitourengeher individuell unterwegs sind, doch eigentlich eine ziemlich große Gruppe sind. Wir alle brauchen von Zeit zu Zeit ein wenig Hilfe, und einige von uns könnten in dieser Saison ein wenig zusätzliche Unterstützung brauchen, um die Stimmung oben zu halten, während wir uns an das Leben mit Covid-19 gewöhnen.
Freuen wir uns auf viele epische Tage im Pulverschnee in dieser Saison und lasst uns im Backcountry immer so aufmerksam wie möglich sein, um anderen Skifahrern, Schneesportlern und Gruppen zu helfen, wenn es nötig ist. Denk immer daran, dass wir alle unsere Zeit im Backcountry lieben und dass wir alle gemeinsam daran beteiligt sind.
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Brennan Lagasse ist ein US-amerikanischer Ski-Guide, Ausbilder und Autor und lebt am Westufer des Lake Tahoe in Kalifornien. Wenn Brennan nicht gerade in seiner Heimat, der Sierra Nevada, unterwegs ist, gibt er sein Backcountry-Wissen als Guide in der ganzen Welt weiter. Jährlich führt er Skitouren in buchstäblich abwegigen Regionen wie Alaska, der Antarktis, in Grönland oder im Himalaya. Brennan Lagasse schreibt für Publikationen wie das Powder Magazine oder Yes! Magazine und war an der Gründung des Backcountry Snow Journal Ascent beteiligt. Dort erschien auch dieses Feature mit dem Titel „Down with Disease“ im Herbst 2021 ursprünglich.
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