Der größte Subkontinent ist nicht besonders bekannt fürs Surfen. Dabei hat Indien, mit den Andamanen und Nikobaren, eine geheimnisvolle Inselgruppe mit wenig Einwohnern, wenig Tourismus und unglaublich guten Wellen im Portfolio. Aber sieh selbst!
Ein Feature von John Seaton Callahan. Deutsch von Luca Brück. Mehr zum Autor unter der Story.
Im Indischen Ozean, nördlich von Indonesien, befindet sich eine Inselkette, die unter indischer Hoheit steht, aber viel näher an Indonesien, Thailand und Myanmar liegt als an Indien.
Diese von Korallenriffen umgebenen Dschungelinseln stehen seit den Tagen des britischen Raj unter indischer Verwaltung und Kontrolle. Damals wurden die Inseln als Strafkolonie für die schlimmsten politischen Gefangenen der Zeit genutzt.
Betreten verboten: Die Nikobaren
Wir befinden uns auf den Andamanen und Nikobaren, einer geheimnisvollen Inselgruppe mit wenigen Einwohnern und wenig Tourismus, viele der Inseln sind bis heute nur sehr eingeschränkt oder gar nicht zugänglich.
Die Hauptstadt dieser Inseln ist die kleine Stadt Port Blair, die nach einem britischen Marineoffizier benannt wurde und über einen riesigen natürlichen Hafen auf der Insel Süd-Andaman verfügt. Die Andamanen und Nikobaren sind ein Unionsterritorium Indiens und werden daher größtenteils von Neu-Delhi aus regiert, mit einem Gouverneursleutnant und anderen Beamten in Port Blair.
Die Geschichte der Inseln ist wenig erforscht. Gewiss ist, dass die Ureinwohner der Andamanen ein dunkelhäutiges Volk aus Afrika sind, ein Überbleibsel einer der ersten Migrationswellen.
Anthropologen gehen davon aus, dass einige Stammesgruppen schon seit bis zu 50.000 Jahren auf den Andamanen leben.
Die Ureinwohner der Nikobaren unterscheiden sich völlig von den Ureinwohnern der Andamanen. Sie sind ein Volk asiatischen Ursprungs und vermutlich das Ergebnis einer relativ kurz zurückliegenden Einwanderungswelle aus dem nahe gelegenen Sumatra in Indonesien vor etwa 10.000 Jahren nach Norden.
Hunderte von Jahren wurden diese Inseln trotz ihrer natürlichen Ressourcen und ihrer strategischen Lage am Eingang zur Straße von Malakka, die zum Südchinesischen Meer führt, von Seeleuten ignoriert. Grund dafür: Gerüchte über Kannibalismus, die sich hartnäckig hielten. Sie gingen auf die Reisen von Marco Polo zurück, der die Inseln als dunklen und gefährlichen Fleck beschrieb, den man um jeden Preis vermeiden sollte.
Die Inseln waren im Zweiten Weltkrieg unter der Kontrolle der kaiserlichen japanischen Armee, und japanische Ingenieure bauten ein Gros der Infrastruktur, die noch heute in Betrieb ist, wie etwa den Flughafen auf der Insel Car Nicobar.
Nach dem Krieg kehrten die Inseln kurzzeitig unter britische Kontrolle zurück, bevor die volle Souveränität 1950 an Indien übertragen wurde. Abgesehen von einigen Einrichtungen für das indische Militär hat sich auf den Inseln wenig verändert, außer einem stetigen Zustrom von Einwanderern, vor allem aus Westbengalen, und einem ebenso stetigen Rückgang der Zahl der einheimischen Stammesangehörigen sowohl auf den Andamanen als auch auf den Nikobaren.
Heute haben die mehreren Tausend verbliebenen Stammesangehörigen auf den Andamanen und Nikobaren einen geschützten Status und besondere Reservate auf den Inseln mit stark eingeschränktem Zugang.
Der Tourismus wird (und wurde nicht) von der Regierung auf den Anadamanen gefördert. Die Nikobaren dagegen bleiben für jeden ohne indischen Pass praktisch unzugänglich. Selbst Inder benötigen eine Sondergenehmigung, um viele Inseln zu besuchen, darunter Car Nicobar und Great Nicobar im äußersten Süden.
Zwar sind die Besucherzahlen in den letzten zwei Jahrzehnten gestiegen, doch die undurchsichtigen Visabestimmungen aus der Zeit vor der Pandemie und vor allem die Weigerung, Port Blair zu einem Einreisepunkt für andere Verkehrsmittel als Boote zu erklären, bedeuten, dass Besucher der Andamanen zunächst nach Indien selbst fliegen müssen, entweder nach Chennai oder nach Kalkutta, und dann einen Flug zu den Andamanen nehmen müssen – eine sehr ineffiziente und teure Anreise.
Es ist immer noch nicht möglich, Port Blair direkt von den nahe gelegenen thailändischen Städten Phuket oder Bangkok aus anzufliegen. Ohne diese Restriktion kämen sicherlich deutlich mehr Besucher aus Asien.
Mit Jack Johnson unterwegs auf den Andamanen
Was das Surfen betrifft, galten die Andamanen vor unserer ersten Reise über Phuket in Thailand im Jahr 1998 als weißer Fleck auf der Karte. Nachdem wir in Phuket an Bord eines gecharterten Tauchsafaribootes gegangen waren, überquerten wir die Andamanensee in 72 Stunden bei einer Geschwindigkeit von zehn Knoten, erledigten die Formalitäten mit den indischen Behörden in Port Blair und verbrachten etwa zwei Wochen surfend auf der südlichen Hälfte von Little Andaman Island am Ende der Trockenzeit Ende April.
Zur Crew gehörte auch der Surfer Chris Malloy aus Kalifornien, der seinen Freund Jack Johnson, einen Absolventen der UCSB, angeworben hatte, um für Projekt Footage auf 16-mm-Film zu filmen.
Jack hatte eine Gitarre dabei und schrieb erste Versionen einiger Songs, darunter “f- Stop Blues”, der später auf seinem ersten Bestseller-Album “Brushfire Fairytales” von 2001 erschien.
Bei unserem ersten Projekt auf den Andamanen fanden wir viele sehr gute Wellen, die wahrscheinlich noch nie von jemandem gesurft worden waren, wenn man bedenkt, wie schwierig und teuer es war, auf die Andamanen zu reisen und überhaupt eine Genehmigung für Little Andaman zu bekommen.
Die erste Welle, die wir surften, nannten wir “Jarawa Point”, nach einer der Stammesgruppen auf der Insel. Es handelt sich um einen linken Point Break, der auf den Karten der Insel als “Butler Bay” eingezeichnet ist und eigentlich an der Ostküste von Little Andaman liegt. Die Spitze ragt aber weit genug heraus, um Swell aufzunehmen und eine ausgezeichnete Welle zu produzieren.
Wir fuhren weiter nach Süden zu unserem Hauptziel, einem langen Pointbreak an der Südwestspitze von Little Andaman, den wir nach der in Indien und Nepal verehrten hinduistischen Jungfrauengöttin “Kumari Point” nannten.
Die Welle war sogar noch besser, als die Karten vermuten ließen: Eine lange und sehr schnelle Welle, schälte sich am Riff entlang, der saisonale Nordwest-Wind blies offshore.
Die Welle endete in einem schmalen Channel, der durch das Süßwasser eines Flusses entstanden war, der in den Ozean mündete.
Wir gingen am Kumari Point an Land und fanden ein Lager neben diesem Fluss, von dem wir später erfuhren, dass es zum Territorium des Stammes der Onge gehörte, die seit Tausenden von Jahren in diesem Gebiet von Little Andaman leben.
Die Onge hatten Schlafplattformen über dem Sand. Sie müssen relativ klein gewesen sein, denn keine der Plattformen war länger als zwei Meter. Es gab eine Sammlung von verbeulten Aluminiumkochtöpfen und viele Teile nicht zusammenpassenden Plastikgeschirrs, Trinkbechern und ähnlichem, wahrscheinlich vom Strand gesammelt.
Das “pièce de résistance” war ein hölzernes Kanu, das aus einem einzigen Stamm mit einem Ausleger gehauen war und weit über der Flutlinie in den Bäumen parkte. Sam George und ich hinterließen unsere Visitenkarten auf einem Regal, das wahrscheinlich in der Küche stand, haben aber nie eine E-Mail von den Onge bekommen.
Damals brauchten wir eine Sondergenehmigung, um nach Little Andaman zu reisen. Die örtlichen Behörden sahen die Insel nicht als “normales” Besucherziel an. Normal war die geschützte und wellenlose Havelock Island in der Nähe von Port Blair, für uns naturgemäß völlig uninteressant.
Bei weiteren Projekten auf den Andamanen waren wir an der Spitze von Nord-Andaman und an der gesamten Westküste, wo wir viele unbewohnte Inseln mit unglaublichen weißen Sandstränden fanden. Für jede dieser Inseln würden internationale Bauunternehmer Millionen bieten, um sie zu schicken Resorts mit garantierter Privatsphäre auszubauen.
Wir surften zahlreiche Wellen an Orten, an denen noch nie ein Surfer gesurft war, und sahen nur sehr wenige Menschen oder Siedlungen jeglicher Art.
Auf einer Reise, die nach den von der indischen Marine aufgestellten Regeln noch gerade legal war, besuchten wir, die Regeln dezent dehnend, zahlreiche Inseln der Nikobaren-Gruppe.
Beinahe wären wir von einem Kriegsschiff der indischen Marine an einem Ort erwischt worden, an dem wir nicht hätten sein und surfen sollen. Das betraf auch eine Reihe von rechten Pointbreaks an der Südspitze von Great Nicobar Island am Indira Point.
Vor einer Insel bekamen wir auf dem Boot Besuch von einer Gruppe von Einheimischen, die schüchtern ihre hölzernen Kanus am Heck festbanden und an Bord gingen, ruhig in ihren Lendenschürzen aus Rinde saßen und Dinge bestaunten, die sie zweifellos noch nie gesehen hatten.
Als guter Gastgeber holte ich ein paar kalte Dosen Sprite aus dem großen Kühlschrank und reichte sie den Nicobaresen. Sie ließen die Dosen sofort auf das Deck des Bootes fallen und stießen dabei einen Ausruf in ihrer Sprache aus. Zur gleichen Zeit war auch ein Bengali an Bord, ein einheimischer Ladenbesitzer, der seit zehn Jahren in der Gegend lebte und die Landessprache sprach. Er lachte und sagte: “Sie sagen, es verbrennt ihnen die Hände – sie haben noch nie etwas Kaltes berührt”.
Später machten wir mit den beiden Nikobaresen und dem Ladenbesitzer eine Spritztour im Schlauchboot, das mit zwei 80-PS-Außenbordmotoren ausgestattet war. Sie genossen die Geschwindigkeit ungemein und konnten nach dieser Erfahrung nicht aufhören zu lächeln – es ist viel schneller als ein Kanu zu paddeln!
Die Wellen am Indira Point wurden Gerüchten zufolge seit Jahren von einer Gruppe von Australiern gesurft, die in einem von mehreren Tauchresorts auf Pulau Weh im hohen Norden der Provinz Aceh auf Sumatra arbeiteten.
Nacht- und Nebel Strike-Mission der anderen Art
Diese Gruppe beobachtete den Forecast permanent, und wenn es wieder einmal so weit war, beluden sie ein Boot mit Benzin, Lebensmitteln und Wasser und setzten zum Indira Point in Indien über, nachts, mit GPS-Navigation und ohne jegliche Einreiseformalitäten.
Diese Surfer kampierten während der einige Tage andauernden Swells am Strand und achteten penibel darauf, kein Lagerfeuer zu machen und keine Abfälle zu hinterlassen. Kein Rauchzeichen sollte den Einheimischen oder den Behörden in der Nähe ein Zeichen ihrer Anwesenheit sein.
Am Indira Point sahen wir niemanden, aber wir sahen Rauch von etwas, das ein Kochfeuer im Wald hinter dem Strand gewesen sein könnte. Wir wussten, dass es nicht die Australier sein konnten. Der Running Gag war also, dass es die legendären Kannibalen waren, die den Kochtopf für uns aufwärmten!
Eine weitere Insel der Andamanen- und Nikobarengruppe, die in letzter Zeit Schlagzeilen gemacht hat, ist North Sentinel Island, die Heimat einer der letzten unkontaktierten Stammesgruppen der Welt, die seit vielleicht 50.000 Jahren oder länger in herrlicher Isolation auf der Insel lebt.
Vor dem Missionar kamen die Surfer: North Sentinel
Ein wahnsinniger christlicher Missionar wurde 2018 auf Nord-Sentinel von den einheimischen Sentinelesen getötet, die für ihre Feindseligkeit gegenüber Fremden berüchtigt sind. Es gibt zahlreiche gut dokumentierte Vorfälle von gewaltsamer Ablehnung jeglichen Kontakts mit Fremden über viele Jahrzehnte hinweg. Berühmt geworden ist das Bild eines Mannes auf Nord-Sentinel, der mit Pfeil und Bogen auf einen Hubschrauber der indischen Armee zielt. Aufgenommen wurde das ikonische Foto nach dem Tsunami im Indischen Ozean Ende 2004.
John Allen Chau, der amerikanische christliche Missionar, hatte seine Reisen nach North Sentinel sorgfältig geplant und wusste sehr wohl um den Ruf der Feindseligkeit gegenüber Außenstehenden, ging aber davon aus, dass sein starker christlicher Glaube ihn vor Schaden bewahren würde.
Tat er nicht.
Er wurde durch einen Pfeil getötet, seine Leiche am Strand vergraben und auf Wunsch seiner Eltern, die kein weiteres Blutvergießen auf der Insel wünschten, von den Behörden nicht geborgen.
Es besteht kein Zweifel, dass North Sentinel surfbare Wellen hat, denn die wurden 1999 von einer Gruppe von professionellen Surfern gesurft. Sie verbrachten einen Vormittag am Setup im Süden, mit der linken und der rechten Welle am Riffdurchlass, der den Eingang zu einer großen Bucht markierte und wahrscheinlich genau der Ort auf der Insel war, an dem John Allen Chau fast zwanzig Jahre später am Strand zu Tode kam.
Diese Gruppe von Surfern hatte ebenfalls Zwischenfall mit den Einheimischen von North Sentinel, der allerdings gewaltfrei blieb. Niemand wurde verletzt oder getötet. Die Begegnung wurde von mir dokumentiert, so wie sie mir der Bootskapitän erzählte, und in einem Beitrag auf der australischen Website swellnet veröffentlicht, gefolgt von zahlreichen Leser-Kommentaren.
Angesichts der negativen Publicity nach dem Tod von John Allen Chau und den neuen Einschränkungen, die die indische Regierung erlassen hat, um Menschen von North Sentinel fernzuhalten, die sowohl für Missionare als auch für Surfer gelten, wird es wahrscheinlich noch Jahre dauern, bis es überhaupt jemandem erlaubt wird, sich der Insel zu nähern, und die Wellen von North Sentinel werden weiterhin ungesurft bleiben.
Während die Zahl der Surfer, die auf die Andamanen kommen, nach der Pandemie weiter zunehmen wird, werden die Nikobaren wahrscheinlich auf absehbare Zeit für Nicht-Inder tabu bleiben.
Indien baut seine Verteidigungskapazitäten weiter aus, und die Anlagen auf den Nikobaren werden wahrscheinlich eine wichtige Rolle dabei spielen, dem Einfluss Chinas im Indischen Ozean entgegenzuwirken. Die Behörden in Neu-Delhi zeigen kein Interesse an einer größeren Anzahl von Touristen (oder überhaupt an ausländischen Besuchern) auf den Nikobaren.
Text © John Seaton Callahan / surfEXPLORE® / Bilder © John Seaton Callahan / surfEXPLORE® ; Ausnahmen am Bild gekennzeichnet.
Text und Bilder von John Seaton Callahan, lizenziert via Azylo.
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