Digital Detox im Pazifik: Ein Surfer tief in der Welle

Digital-Detox im Pazifik: Willkommen auf Punanjar

Jeder Surfer kennt die Wellen, die der Indische Ozean auf Sumatra und Bali feuert. Aber auch die das unbekannte, pazifische Indonesien hat fantastische Wellen. Eine Gruppe Surfer macht sich auf die Suche und findet weit mehr als nur Wellen: Nämlich absolute Ruhe und unvorstellbare Freiheit.

Alle Bilder von John Seaton Callahan, Text von Emiliano Cataldi, Deutsch von Luca Brück. Mehr zum Autor und zum Fotograf. Story via John Seaton Callahan auf Azylo.


Eine Reifenpanne ist selten eine gute Nachricht. Das gilt besonders, wenn sie innerhalb der ersten zwei Stunden nach der Ankunft auf einer abgelegenen Insel passiert und man dann feststellt, dass der Ersatzreifen ebenfalls platt ist und jede Hilft meilenweit entfernt ist.

Genaugenommen klingt das wie das Rezept für einen perfekt-katastrophalen Reisebeginn. Es sei denn, das Ganze passiert direkt vor einem Bilderbuchstrand, der in eine weitläufige Bucht eingebettet ist. Eine sanfte ablandige Brise streichelt das Azurblau des Pazifik und auf beiden Seiten der Bucht brechen Wellen, die eindeutig nach Spaß aussehen, während über einem Riff genau in der Mitte ein weiterer Peak wartet.

John rennt für auf der Suche nach Fotomotiven durch die Gegend, Einheimische lümmeln im Schatten und essen Kokosnüsse, Kinder spielen in der Brandung, die Stimmung ist ausgelassen: Plötzlich ist das kaputte Auto nur noch eine ferne Erinnerung, der Ersatzreifen trifft ein und wir werden im Handumdrehen wieder auf der Straße sein.

Wir haben kaum einen Fuß auf die Insel gesetzt, und – ohne dass wir es überhaupt realisiert haben – ist bereits klar, in welchem Tempo die nächsten Wochen dahinziehen werden.

Vier Bilder Collage mit Chilis, einem Auto mit Panne, einem Straßenkiosk und einem Surfer auf einer Welle
Das pazifische Indonesien ist tausende Kilometer entfernt von Java und unterscheiden sich auch kulturell und landschaftlich sehr vom asiatischen Teil Indonesiens.

Der Reifen wird repariert, und sobald wir wieder auf der Straße sind, wird deutlich, wie viele gute Wellen es hier gibt. Wir haben alle ein gutes Gefühl, wenn wir an die nächsten Tage denken. Obwohl der Swell im Forecast eigentlich nicht allzu solide aussieht, nur zwei bis drei Fuß, mit einer relativ kurzen Periode, laufen einige der Spots richtig gut. Vor allem eine Welle, ein etwas beliebig anmutender Peak mitten über einem ansonsten schnurgeraden Riff, entlädt beständig solide rechts laufende Vier-Fuß-Barrels, ohne nennenswerte Setpausen. Die Tropensonne ist untergegangen, wir stehen einfach da, schauen im letzten Licht noch ein paar Sets an, bis es zu dunkel ist, um irgendwas zu sehen, und fahren in Richtung eines Dorfes, in dem wir hoffentlich einen Platz zum Übernachten finden.

Pazifik und ein Wassereinschluss mit einem schmalen Streifen Strand auf dem Kinder spielen.
Ein Wassereinschluss direkt hinter dem Strand. Die Dorfkinder spielen mit Kanus.

Um diese Zeit ist es ruhig im Dorf. Ein paar Hunde streunen durch die Straßen, die Häuser sind erleuchtet von schwachem Kerzenlicht. Wir sind im obersten Stockwerk des Hauses des örtlichen christlichen Pastors untergekommen. Im Holzhaus wohnen auch noch: Die Frau des Pastors, vier Kinder, fünf Hunde, zwei Katzen und ein paar Schweine. Der Ort ist so gemütlich und alle sind so entspannt, dass trotz der vielen Menschen alle ein Lächeln tragen. Das wird auch in den kommenden Tagen so bleiben.

Vier Männer schauen auf ein Tablet um sich zu orientieren.
Die freundlichen Bewohner der Region, in der im Zweiten Weltkrieg heftige Kämpfe zwischen Japan und den USA tobten, bekommen nicht allzu viele Touristen zu Gesicht.

Wie wir noch herausfinden werden, ist das Haus buchstäblich nur einen Steinwurf von drei wirklich guten Wellen entfernt, und viele weitere befinden sich auf der anderen Seite der Bucht. Was für eine fantastische Lage! Und ohne Handyempfang, ohne Internet, ohne Radio oder Fernsehen und mit nur sporadisch vorhandenem Strom ist es hier so entspannt wie nur irgend möglich. Was für eine Wohltat, sich zurücklehnen zu können, eine Tasse Tee zu trinken, ein gutes Buch zu lesen, und absolut keine Ablenkung von der Außenwelt zu haben. Willkommen in Punanjar.

Zwei Männer stehen auf dem Stamm einer Palme und schauen auf das Meer.
Emiliano Cataldi und Phil Goodrich mit einer verlockenden Welle im Hintergrund.

Man lebt, um zu lernen

Die nächsten Tage verbringen wir mit dem Versuch, die Wellen in diesem Gebiet zu verstehen: Wie kommt man hin, welche Rolle spielen Gezeiten, Swell und Wind, so Sachen. Obwohl wir schon seit Monaten über die Region recherchieren, haben wir im Grunde keine Informationen. Was wirklich Phase ist, weiß man immer erst, wenn man hinauspaddelt und sich einer neuen Welle gegenübersieht. Ist sie surfbar? Ebbe oder Flut? Ist das ein Kanal? Wo ist die Strömung? Wie seicht ist es wohl? All diese Fragen führen zu derselben Antwort: Paddle hinaus und finde es raus.

Ein Surfer beim Bottom Turn auf einer großen Welle.
Phil Goodrich surft die “große Linkswelle” in der Dämmerung.

Wie Phil und ich bald herausfinden, kann es immer so oder so kommen. Am späten Nachmittag scheint der Swell plötzlich größer zu werden, also beschließen wir, die Welle, über die wir als “Hollow Left” sprechen, zu checken. Als wir gerade dort sind, werden wir von einem Fünf-Fuß-Set begrüßt, die Wellen überschlagen sich und schießen mehrfach Wasserwolken aus der Barrel, bis sie schließlich ihren verrückten Lauf auf dem scheinbar trockenen Riff beenden.

Das Riff bei Ebbe, im Hintergrund eine mit Palmen bewachsene Insel
Der Blick zurück auf das trockene Riff.
Ein Surfer beim Top-Turn auf einer schönen großen Welle
Emiliano Cataldi an einem entspannteren Spot, an dem die Wellen perfekt für große Performance-Turns waren und es nicht nur darum ging, die Sache zu überleben.

Der rationale Teil von uns lässt uns eine Weile zögern, bevor wir beschließen, rauszupaddeln. Wir merken ziemlich schnell, dass es viel heftiger und größer ist, als es vom Strand aus aussieht. Die Sets sind zwei Meter und mehr und perfekt, aber auch wirklich heftig. Ich erinnere mich, dass ich dachte: “Jemand sollte Shane Dorian oder so anrufen, denn hier draußen ist es wirklich brutal! Ich erwische eine Welle und überlebe den Ritt irgendwie, bevor ich beim Zurückpaddeln einen kräftigen Schlag auf den Kopf bekomme: Der Aufprall ist so heftig, dass die Welle mir das Brett aus den Händen reißt und die Leash von meinem Knöchel. Ich befürchte nicht nur, dass ich mein Brett verloren habe, sondern muss jetzt auch noch über das trockene Riff schwimmen!


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Das Letzte, was ich sehe, als ich in Richtung Line-up schaue, ist Phil, der weit draußen sitzt und immer noch darauf wartet, seine erste Welle zu reiten, und sich plötzlich einer acht Fuß hohen Riesenwelle gegenübersieht, die mindestens nochmal dreißig Fuß weiter draußen bricht. Wir werden beide absolut zerstört von dem Set, überrollt, gewaschen und über das Riff gespült. Unsere erste Lektion da draußen. John ist froh, uns lebendig an den Strand kommen zu sehen. Nun, wir haben es wenigstens versucht.

Drei Männer sitzen auf einem alten Baum am Strand.
An der Küste des pazifischen Indonesiens gibt es viele riesige, verwachsene, alte Bäume.
Ein Surfer auf einer kleinen schönen Welle mit Palmen im Hintergrund.
Emiliano Cataldi surft die Rechte am Waldrand im perfekten Sonnenaufgangslicht.

Heute kann es regnen, stürmen oder schneien

Wie heißt es so schön: “Wenn es regnet, dann schüttet es”. Ich bin mir sicher, dass sie das hier in der Gegend erfunden haben. Der Sturm, der sich den ganzen Nachmittag zusammengebraut hat, hat schließlich beschlossen, sich direkt über uns zu entladen, und es gibt sehr wenig, was wir tun können, um trocken zu bleiben: Das Wasser scheint seinen Weg durch das Blechdach und die zentimeterbreiten Lücken in den Holzplankenwänden des Hauses, durch die Ritzen des Fußbodens und in unsere Betten zu finden. Wir sind durchnässt, das Auto ist durchnässt, und das meiste unserer Habseligkeiten auch.

Hin und wieder ist der auf das Metalldach prasselnde Regen so laut, dass er uns mitten in der Nacht aufweckt und wir uns gegenseitig nicht mehr hören können. Die Flüsse spucken braunen Schlamm in die türkisfarbenen Buchten, schwemmen riesige tote Bäume und arme kleine Lebewesen weg, die keinen Unterschlupf finden konnten. Eine ganze Nacht und einen ganzen Tag lang können wir nur dabei zusehen, was die Elemente treiben. Damit muss man wohl rechnen, wenn man in der Regenzeit hierherkommt. Sie heißt es ja nicht umsonst so. Dann, eben so plötzlich, wie es begann, kühlt die Wut des tropischen Wetters ab und alles wird wieder ruhig.

Ein Surfer verschwindet hinter dem Vorhang einer Welle.
Der Brasilianer Alberto Lima Castro auf unserer “Rechten Welle”, einem schnellen, großen und hohlen Monster.

Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, als Phil am nächsten Morgen alle aufweckt. Seit der Mann laufen kann, ist er auf einer ernsthaften Mission, Barrels zu finden, und er ist dabei kein bisschen langsamer geworden. Er hat das Haus verlassen, als es noch dunkel war, um den nahe gelegenen Righthander zu checken, und ist den ganzen Weg zurückgerannt, nachdem er drei Sets auf das Riff knallen gesehen hatte. Atemlos kommt er zurück und weckt alle mit einem unmissverständlichen: “ES BALLERT! Die Rechte LÄUFT!”.

John, Beto und ich rappeln uns in Nullkommanichts auf und haben eine unvergessliche Session, nur wir drei, vier Stunden lang gebarrelt werden, Dauergrinsen inklusive. Am Himmel ist keine einzige Wolke, die Sonne scheint, das Wasser ist spiegelglatt, der Wind wegen des starken Regens am Vortag leicht ablandig, im Spray jeder Welle glitzern Regenbögen: der wahre Himmel auf Erden. Ich könnte hunderte von Worten darauf verschwenden, die Perfektion dieser Welle zu beschreiben, aber ich möchte mir lieber ein Zitat von Phil ausleihen, das es am besten zusammenfasst: “Wenn Indicators und Lance’s Right ein Baby hätten, wäre es diese Welle!”

Emiliano Cataldi surft eine große hohle Welle
Der Autor Emiliano Cataldi unterwegs auf einer weiteren schönen Rechtswelle.

Manchmal ist weniger mehr

Zwischen den Sets bin ich oft allein im Line-up, und habe viel Zeit zum Nachdenken. Außer dem Wind und dem Rauschen der Wellen gibt es kein anderes Geräusch, und abgesehen von Phil, Beto und dem ein oder anderen Fischer, der gelegentlich in einem Kanu vorbeipaddelt, habe ich den ganzen Morgen keinen anderen Menschen gesehen oder gehört. Überhaupt gab es kein Zeichen irgendeiner menschlichen Aktivität.

Die Ruhe und Gelassenheit hier ist zum Sterben schön, sowohl an Land als auch im Wasser, selbst wenn die Wellen fast direkt aufs Riff knallen. Im Laufe der Tage bin ich immer mehr erstaunt und begeistert über die freundliche und aufgeschlossene Haltung der Einheimischen. Heute kam ein Kind auf mich zu und gab mir wortlos die Hälfte seiner Orange, dann lächelte es und ging davon. Wie oft ist mir das zu Hause passiert? “Fantastisch” ist das einzige Wort, das diesen Menschen und ihrem Wesen einigermaßen gerecht wird. Sie bekommen nichts zurück, außer einem Lächeln und einem kurzen Gespräch vor oder nach dem Surfen, und sind doch alle überaus herzlich zu uns.

Eine Welle ohne Menschen bricht perfekt zum Surfen.
Es gibt so viele schöne Wellen hier, dass die Expedtions-Crew hier nicht mal im Wasser war.

Um zu den meisten Wellen zu kommen, müssen wir unser Auto in jemandes Vorgarten parken und durch ihr Haus oder über ihr Grundstück gehen, um zum Strand zu gelangen, doch niemand macht deshalb ein Fass auf. Im Gegenteil, jeder lädt uns ein, wir dürfen uns mit frischem Wasser aus ihren Brunnen abspülen und ein paar Minuten mit den Kindern oder Hunden spielen. Es gibt keine “Betreten verboten” oder “Privateigentum” Schilder, dabei existiert das Konzept von Privateigentum auch hier draußen. Es muss nur nicht durchgesetzt werden. Natürlich achten wir darauf, nirgends Müll oder andere Spuren zu hinterlassen.

Ich komme nicht darum herum, über das Konzept “zu Hause” nachzudenken, über Besitz, Exklusivität, Localism, darüber, wie wir “meins” gegen “deins” ausspielen und so weiter. Die Menschen hier sind so wahrhaftig und bodenständig, dass sie mich jeden Tag lehren, dass weniger mehr ist und dass es stimmt: je weniger jemand hat, desto mehr ist er bereit zu teilen.

Surfer sitzen in einem kleinen Unterschlupf am Strand.
Das Abwarten auf den milderen Wind am Abend gehört zum Alltag für die Surfer.

Die Menschen hier genießen ein Maß an Freiheit, das sich die meisten Menschen bei mir zu Hause nicht einmal vorstellen können: Die Kinder laufen frei von Hinterhof zu Hinterhof, zum Strand, zur Straße und wieder nach Hause. Sobald sie laufen können, rennen sie mit dem ganzen Rudel an Brüdern, Schwestern, Cousins und Nachbarn zum Strand oder zum Fluss oder klettern auf die Bäume in ihrem Hinterhof, und innerhalb des Rudels passt jeder auf den anderen auf. Vom kleinen Zweijährigen, der halbnackt hinter seinen Schwestern herläuft, bis zum alten Fischer, der in seiner Hängematte chillt und die Nachmittagsbrise genießt, leben diese Menschen auf eine Art und Weise, die an Freiheit kaum zu überbieten ist. So sieht das Leben in der Karibik Indonesiens aus.

Ein Surfer mit einem schönen Turn auf einer Welle.
Wieder einmal Emilio Cataldi auf einer weiteren schönen linken Welle in diesem Teil des Pazifik.

Das hier ist nicht Desert Point

Als wir eines Tages die andere Seite der Insel erkunden wollen, beschließen wir, die nicht existierende Küstenstraße zu suchen, nur um uns fünf Stunden später ohne Benzin in einem Dorf mitten im buchstäblichen Nirgendwo wiederzufinden. Auf tritt Solomon, ein etwa vierzigjähriger Local, der uns innerhalb von zwanzig Minuten nicht nur fünf Liter “Bensin”, so der Bahasa-Begriff für Benzin, besorgt, sondern Beto auch von diesem Weg erzählt, der zum Strand führt. Mehr noch, er schwört, dort Wellen gesehen zu haben. Große Wellen, sagt er, keine Close-Outs, sondern schöne, sich entlang des Riffs schälende Wellen. Wann das war? 2005, sagt er.

Wichtiger ist aber, dass Solomon den “Rosa-Elfefanten-Test” besteht, eine halbwegs seriöse Methode, um die Zuverlässigkeit einer Person zu testen, bei der man fragt, ob es wirklich wahr sei, dass sie irgendwelche rosa Elefanten in der Gegend gesehen habe. Wenn die Person mit “Ja” antworten, dann ist ihre Glaubwürdigkeit in Bezug auf alles andere sofort dahin. Wir beschließen, dass Solomon glaubwürdig ist, und einer von uns, das heißt ich, schwingt sich auf das einzige Motorrad, das im Dorf zur Verfügung steht, und kurvt zwei Stunden lang eine ausgefahrene Piste hinunter, um den Strand auszuchecken.

Surfer baden in einem kleinen Frischwassersee unter Palmen.
After-Surf Salzwasser Abwaschung in einem Frischwassersee.

Soviel wir wissen, könnte dort draußen ein weiterer Desert Point auf uns warten. Obwohl es bereits 2:30 Uhr nachmittags ist, ist das so ziemlich die einzige Chance, die wir haben, denn es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass wir jemals wieder hierher zurückkehren werden. Also steigen Salomon und ich auf das Motorrad und fahren eine Schotterpiste hinunter, die so holprig und steinig ist, dass wir bald beschließen, lieber zu Fuß zu gehen als zu fahren.

Ich laufe etwa eine Stunde lang hinter Solomon her, schaue alle zehn Minuten auf mein GPS, die ganze Zeit über sagen wir kein Wort. Ich habe Mühe, mit seinem schnellen Tempo mitzuhalten, und während der ganzen Wanderung versuche ich, mich zu motivieren, indem ich an den Desert Point denke, der am Ende des Weges wartet. Verschwitzt, schwindlig und dehydriert, wie ich bin, denke ich, ich hätte Halluzinationen, als ich das Rauschen der Wellen höre. Das könnte mein ganz persönlicher Desert Point sein, und ich kann es kaum erwarten, den Jungs davon zu erzählen, wenn ich zurückkomme.

Kakaobohnen, ein Strand, ein Surfer, ein Holzhaus
Verschiedene Aspekte des pazifischen Indonesiens, einer Region buchstäblich unberührter Inseln, Strände und Korallenriffe.
Bild: Ein Junge aus dem Dorf mit seinem zahmen Opossum.
Ein Junge aus dem Dorf mit seinem zahmen Opossum.

Und sie ist es! Beinahe. Als ich einen Blick auf die erste Welle erhasche, die hinter den Büschen bricht, schwöre ich, dass es sich um eine lange, saubere Linke Welle handelt. Aber als Solomon und ich am Strand ankommen, in Sichtweite der Bucht, wird klar, dass hier kein Desert Point auf mich wartet. Es gibt jedoch ein paar sich am Riff entlang schälende Linke Wellen im Westen und einen kleinen Durchlass im Riff direkt vor dem Weg. Desert Point ist es nicht, aber es ist auf jeden Fall die Fahrt und die Wanderung wert, um unseren Durst nach der Erkundung des Unbekannten zu stillen. Ich filme ein paar Wellen, um sie der Crew zu zeigen, bevor ich umdrehe. Es ist 16 Uhr, als wir den Rückweg antreten, und wir erreichen das Dorf genau mit der Dunkelheit. 

Kann das jemand erklären?

Obwohl wir nun schon fast zwei Wochen auf der Insel sind und einige wirklich gute Wellen erwischt haben, haben wir das Gefühl, dass wir den Ort noch nicht ganz verstanden haben. Zunächst einmal ist der Wind auf der Insel absolut unberechenbar und folgt Mustern, die sich jeder Logik entziehen. Wir hatten viele Tage, an denen der Wind an zwei Stellen, die weniger als eine Meile voneinander entfernt und gleich ausgerichtet waren, aus zwei verschiedenen Richtungen wehte. Der eine Spot ist perfekt ablandig und der andere wird von einem bösen, auflandigen Wind völlig verblasen. Kehrt man zum ersten Spot zurück, ist er immer noch blitzsauber. Ähnlich verhält es sich, wenn man eine Seite der Insel verlässt, auf der der Wind stark auflandig weht, nur um festzustellen, dass er auch auf der anderen Seite voll onshore bläst. Es gibt Dinge, die man erklären kann, und Dinge, die man nicht erklären kann: Die äquatorialen Mikroklima-Winde auf Punanjar fallen definitiv in die zweite Kategorie.

Eine Insel im Regen im Pazifik
Peitschende Regenfälle sind ein oft gesehenes Schauspiel in der Regenzeit im äußersten Osten Indonesiens.
Ein Surfer auf einer Welle und im Vordergrund Palmenstämme
Phil Goodrich surft eine der vielen über Korallenriff brechenden Wellen auf der Indonesischen Insel Punanjar im Pazifik.

Etwa einmal pro Woche bekommen wir einen Surf-Forecast in Form einer Textnachricht, wenn wir uns auf den Weg ins Hauptdorf machen, wo es ein Handysignal gibt. Nie aber spiegelt die Vorhersage die Realität dessen wider, was wir in den Wellen tatsächlich erleben. Als wir eines Morgens aus der Stadt zurückfahren, sieht die Brandung so zahm aus, wie wir sie noch nie gesehen haben, glasige zwei bis drei Fuß an den Spots, die wir als Wellenmagneten ausgemacht haben. Es ist so ruhig, dass wir beschließen, nichts zu überstürzen und einen ruhigen Sonntagmorgen zu genießen. Da für die nächsten drei oder vier Tage auch nichts Größeres in den Wetterkarten auftaucht, beschließen wir, etwas im Haus abzuhängen, bevor wir am Nachmittag noch einmal schauen.

Ein Eimer voller Fischer wird auf dem Markt verkauft
Auf der Markt wird vor allem frischer Fisch gehandelt.
Ein Holzsteg in ansonsten unberührter Natur.
Spaziergang auf einem Holzsteg an der geschützten Seite der Insel.

Als wir nach dem Mittagessen das Dorf verlassen, ist am Strand kaum eine Welle auszumachen und eine steife Meeresbrise weht uns entgegen. Es hat ordentlich aufgefrischt. Immer noch scharf auf eine Nachmittags-Session, fahren wir zurück zu unserem Swellmagneten und erwarten eine verblasene Brandung, nur um festzustellen, dass die Wellen sechs bis acht Fuß groß sind und absolut feuern. Große, pulsierende, blaue Barrels mit offshore Wind. Die Welle läuft ebenso gut wie jeder Peak auf Hawaii oder im Südpazifik, der die gleiche Größe hat, und sie hat genauso viel Power. Wie ist das möglich?

Ein Surfer ist kurz davor hinter dem Vorhang einer Welle zu verschwinden.
Phil Goodrich guckt tief in die Röhre in diesem hohlen Wellenabschnitt.
Bild: Emiliano Cataldi fügt die Sections zusammen, an einem der seltenen Nachmittage mit offshore Wind.
Emiliano Cataldi fügt die Sections zusammen, an einem der seltenen Nachmittage mit offshore Wind.
Eine Welle ohne Surfer darauf bricht in der Sonne
Wenn der Wind ablandig bläst und sich die Sonne zeigt, können die Wellen hier spektakulär gut sein.

Nochmal, wir können uns das nicht erklären, haben nicht im Ansatz eine Idee. Aber wir paddeln trotzdem raus. In den ersten zehn oder fünfzehn Minuten sind wir mehr damit beschäftigt, Clean-Up-Sets aus dem Weg zu gehen, als tatsächlich Wellen zu surfen. Wir schauen nicht einmal mehr zum Ufer zurück, um uns zu orientieren, aus Angst, eines dieser riesigen Sets auf den Kopf zu bekommen. Dann nimmt Phil eine gute Welle, Beto drückt sich in eine absolute Bombe und das Spiel läuft: Wir überleben hier draußen nicht nur, wir surfen tatsächlich! Davon haben Phil und ich jahrelang geträumt, nur wir zwei, die wir uns gegenseitig anfeuern, perfekte Wellen zu surfen. Es ist so ein Tag, der eine Verbindung und Freundschaft für immer begründet.

Ein Surfer bei einem Roundhouse Carve
Power-Turn von Emiliano Cataldi.

Auf dem Heimweg bemerken wir ein paar einheimische Kinder, die mit Holzbrettern in der Brandung spielen. Weiter draußen läuft unterdessen eine wirklich schöne Linke Welle, die wir schon dutzende Male gecheckt haben und die nie Anstalten machte, zu funktionieren. Das muss der Tag der Überraschungen sein! Wir verschwenden keine Zeit und folgen den Kids ins Wasser. Als es zu dunkel wird, um etwas zu sehen, geht eine weitere denkwürdige Session zu Ende. Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist das High-Five, das Phil und ich uns geben, während wir auf unseren Schaumstoffmatten auf dem Holzboden liegen, bevor wir völlig ausgepowert einschlafen.

Viele Wellen hier sind ziemlich kräftige Slabs.
Die Locals mit ihren Surfbrettern.
Ein ziemlich guter Ausblick.

Der Römer Emiliano Cataldi gilt vielen als einer der besten Surfer Italiens des vorvergangenen Jahrzehntes. Kein Wunder, hat er doch unter anderem mit der SurfEXPLORE Truppe mehr oder weniger die ganze Welt besurft. Eines seiner schönsten Videos ist aber ein Trip durch die Heimat: Statale 106 kann man auf Vimeo anschauen.

Heute lebt Emiliano in Australien und ist professioneller Heißluftballonfahrer.

John Seaton Callahan wuchs auf Hawaii auf und besuchte die Punahou School, gemeinsam mit Barack Obama. Er studierte an der UCLA in Kalifornien und begann an den Spots um Los Angeles mit dem Fotografieren. Filme und Förderung bekam er dabei von Larry Moore, einem perfektionistischen Fotoredakteur bei SURFING.

Nach dem Studium ging John zurück nach Hawaii und fotografierte die ansässigen Locals wie Pocho Ahina, Ross Williams und Kirby Fukunaga für zahlreiche US-amerikanische und japanische Magazine.

Die nächste Station: Singapur. Schnell etablierte sich John als einer der besten Surffotografen weltweit. Seine Bilder bieten immer wieder einzigartige Perspektiven, die sich spielend leicht zu einem kohärenten Layout zusammenfügen.

John hat Credits für Publikationen in New York Times, BBC, Lonely Planet, National Geographic, Redaktion GEO und vielen anderen internationalen Büchern, Magazinen und Websites sowie für mehr als 120 Titelbilder weltweit.

Luca Brück

Luca ist ein Tee trinkender Surfrabauke aus dem Schwarzwald. Seine Brötchen, den Tee und die Surfboards verdient er als Journalist und Blogger. Aktuell lebt und schreibt Luca in Essen im Ruhrgebiet.

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